- Themen, die alle interessieren, Themen, die hin und wieder wechseln und deren Bedeutung auch gewissen
objektiven Kriterien standhält;
- einander zum Denken zwingen, zum Beispiel durch Fragen (Sokrates), auch bei Abschweifungen;
- Abschweifungen beliebig zulassen, aber immer nach dem Gedanken fragen;
- wenn der andere erzählt, ihn fragen, was er genau gesehen, gehört, gefühlt hat, was auffällig war, was für allgemeine
Schlussfolgerungen sich für ihn daraus ergeben;
- ausgeglichener Wechsel zwischen Reden und Zuhören, also auf die Herausgabe von Einfällen verzichten, wenn es
den andern in seinem Gedankengang unterbricht;
- sofort stoppen, wenn die Leute anfangen, einander Witze zu erzählen.
Peter Noll »Diktate über Sterben und Tod«

Die Wörter »bilden«, »Bildung« entstammen der Wurzel »bil«, die soviel wie »behauen«, »glätten« bedeutet. Der
Leitbegriff der modernen Pädagogik hat also einen ähnlichen Ursprung wie das lateinische Wort eruditio, das sowohl
den »Unterricht« als auch dessen Ergebnis, die »Bildung«, die »Gelehrsamkeit« bezeichnet; eruditio ist von rudis,
»roh«, abgeleitet, bedeutet somit eigentlich »Entrohung«. Man hat dem Begriff »Bildung« einen möglichst weit
zurückreichenden Stammbaum zu geben versucht, indem man ihn bis auf die Mystik, auf Meister Eckhart (ca.
1260-1328), zurückführte, bei dem »inbilden« das »Einbilden« des Bildes Gottes in die Seele des Menschen bezeichnet
habe. Eine nüchternere Betrachtung wird für die heutige Bedeutung lediglich die Entwicklung für erheblich halten, die im
18. Jahrhundert stattgefunden hat. »Bildung« bezeichnete, ganz im Sinne des jetzt noch üblichen Gebrauchs von »etwas
bilden«, die technische Herstellung, die künstlerische Formgebung eines Artefakts; es diente auch, in einer ersten Stufe
der Übertragung, dazu, auf die äußere Erscheinung eines Menschen, insbesondere seines Gesichts, hinzuweisen. Zum
Terminus technicus der Pädagogik wurde das Wort vor allem durch Herder und sodann durch Pestalozzi und Wilhelm von
Humboldt.
Manfred Fuhrmann: »Der europäische Bildungskanon des bürgerlichen Zeitalters«

Das neun-, mitunter achtjährige humanistische Gymnasium begnügte sich im allgemeinen mit fünf Stunden je Tag, also
mit dreißig Wochenstunden. Hiervon beanspruchten die alten Sprachen ungefähr die Hälfte, wobei sich das Lateinische
eines etwas höheren Deputats erfreute als das Griechische. Außerdem wurde es von der ersten bis zur letzten Klasse
gelehrt, während Griechisch erst in der dritten Klasse hinzukam. Um diesen Kern des humanistischen Unterrichts
gruppierten sich etliche mittlere und kleine Fächer. Zu den mittleren zählten die Mathematik, die Unterweisung in der
jeweiligen Nationalsprache und -literatur sowie die Geschichte; den Rest teilten sich das Französische, die
Naturwissenschaften, die Religion und die musischen Fächer. Dieser aus heutiger Sicht sonderbare Stundenplan
wurde zwar auch befehdet, von den meisten jedoch durchaus akzeptiert, und namhafte Naturforscher und Ärzte - z. B.
Helmholtz - erklärten, es gebe keine bessere Vorbereitung auf das Fachstudium an der Universität. Vor allem aber
waren die alten Sprachen das Schibboleth der Bildung - man konnte nicht beanspruchen, gebildet zu sein, wenn man
nicht aus eigener Erfahrung von den Tücken der griechischen Verben auf -mi zu erzählen wusste oder von den
Schwierigkeiten des taciteischen Stils.
Manfred Fuhrmann: »Der europäische Bildungskanon des bürgerlichen Zeitalters«

Kürzlich traf ich einen Altphilologen, der an einem der wenigen Gymnasien, die es dafür noch gibt, Griechisch unterrichtet.
Ich bemerkte, es sei ja wohl nicht ganz leicht, den Eltern und Schülern die Notwendigkeit des Fachs zu begründen. Der in
Heiterkeit ergraute Mann sagte mit einem listigen Lächeln: »Das können Sie nicht begründen. Es ist schön.«
Ulrich Greiner

Wenn ich sehe, wie die User das Internet verwenden, wird mir langsam klar, dass das Netz die letzte Verblödung des
Computers darstellt. Die Anwender scheinen zu glauben, sie wären mit irgendeiner Riesenschatzkiste verbunden, alles
Wissen unserer Zeit, ein endloses digitalisiertes Kompendium, wie eine elektronische Bibliothek von Alexandria - wenn
sie nur rauskriegen könnten, wie man richtig darin sucht. Da sitzen sie und klicken, und verstört schauen sie sich den
Mist an, der ankommt. Sicher ist das ihre Schuld, denken sie, bestimmt werden sie schon bald seitenweise
interessanteste Informationen in Händen halten, wenn sie nur den richtigen Verbindungen folgen, die Fragestellungen
genauer formulieren oder eine andere Suchmaschine verwenden. Also wird ihr Klicken eine Zeitlang intensiver, bald
jedoch kippt es um. Welcher Verbindung sind sie gefolgt? Wo sind sie? Sie klicken »Zurück« und noch mal »Zurück«,
und wie Spieler in einem viktorianischen Irrgarten verfolgen sie ihre Schritte zurück und treten ins Freie, nur um
festzustellen, dass sie sich da befinden, wo sie angefangen haben.
Ellen Ullman: »Close to the Machine«

Die entmündigten Bürger unseres Landes brauchen keinen rascheren Zugang zu unendlichen Informationsquellen. Sie
brauchen Bildung. Hier besteht ein wichtiger Unterschied, den die Regierung möglichst bald erkennen muss. Jonathan
Kozol hat in geschliffener Form über die Ungleichheiten geschrieben, die unserem Bildungssystem innewohnen. Was die
sogenannten Informationsbedürftigen brauchen, ist nicht Internet-Zugang, sondern ein Grundstock an
Unterrichtsmaterial, ausreichend Schulen und qualifizierte Lehrer. Die Datenautobahn hat für die Bildungsunterschicht
nicht nur keine Priorität, sondern der Zugang zu einer solchen Fülle schafft für sie sogar weitere Probleme. Während die
Bildungselite lernt, intelligent auf die neuen Herausforderungen des Infosmog zu reagieren, sind es die Habenichtse,
die zusätzlich benachteiligt sind. »Genau wie die Elite gelernt hat, sich angesichts einer Fülle von Nahrungsmitteln zu
beschränken«, erklärt der Soziologe András Szántó, »werden die Eliten ihren Geschmack in Zukunft eher dadurch
ausdrücken, dass sie Informationen in ihrer Umgebung löschen. Wer bewusst auf Informationen verzichtet, zeigt damit,
dass er ein fortgeschrittener Datennutzer ist, dass er weiß, woher die Informationen stammen, wie man an die wenigen
wirklich wichtigen Informationen kommt und sich den Rest vom Leibe hält. Das ist bereits im Gange. Es ist elitär
geworden, kein Privatfernsehen zu schauen oder seine Hochzeit nicht auf Video festzuhalten. Gleichzeitig«, konstatiert
er, »liegt die traurige Ironie des Informationszeitalters darin, dass man die Habenichtse am Schluss mit den ganzen Daten
überschüttet.« Die beste Möglichkeit, eine solche, durch Infosmog hervorgerufene Kluft zu vermeiden, besteht darin, die
Aufmerksamkeit und die finanziellen Mittel künftig darauf zu verwenden, allen Amerikanern eine solide Bildung zukommen
zu lassen.
David Shenk: »Datenmüll und Infosmog«

Die Lust zum Wissen wird bei dem Menschen zuerst dadurch angeregt, dass er bedeutende Phänomene gewahr wird,
die seine Aufmerksamkeit an sich ziehen. Damit nun diese dauernd bleibe, so muss sich eine innigere Teilnahme finden,
die uns nach und nach mit den Gegenständen bekannter macht. Alsdann bemerken wir erst eine große
Mannigfaltigkeit, die uns als Menge entgegendringt. Wir sind genötigt, zu sondern, zu unterscheiden und wieder
zusammenzustellen; wodurch zuletzt eine Ordnung entsteht, die sich mit mehr oder weniger Zufriedenheit übersehen lässt.
Dieses in irgend einem Fache nur einigermaßen zu leisten, wird eine anhaltende strenge Beschäftigung nötig.
Deswegen finden wir, dass die Menschen lieber durch eine allgemeine theoretische Ansicht, durch irgend eine
Erklärungsart die Phänomene bei Seite bringen, anstatt sich die Mühe zu geben, das Einzelne kennen zu lernen und ein
Ganzes zu erbauen.
Goethe "Farbenlehre"

Das Bildungswesen hat mit der Entwicklung der Wissensgesellschaft nicht Schritt gehalten. Die Lehrpläne bilden das
heutige Wissen nicht angemessen ab und eröffnen keinen Zugang zum zukünftigen Wissen. Das Bildungswesen schafft
angesichts der Differenzierung und Expansion des Wissens weder die Reduktion noch die Integration des Wissens,
weil ihm die leitenden Ideen für das, was Bildung heute sein kann, abhanden gekommen sind. Die Lernenden lernen
deshalb notgedrungen für die Schule und nicht für das Leben und verlassen das Bildungswesen im wahrsten Sinne des
Worte un-gebildet. Es ist hochmütig zu behaupten, dass die heutigen Lehrpläne der Entwicklung der Wissens- und
Arbeitsgesellschaft entsprechen, wenn Anstrengungen zur Entwicklung eines Curriculums der Zukunft nicht
unternommen werden. Es ist eine Ausrede, angesichts dieses Versagens die Offenheit der Bildung und die
Flexibilisierung der Qualifikation zu predigen. Was bleibt den Schülern und Schülerinnen denn anderes übrig, als sich
diesem Hochmut zu beugen und für die Schule zu lernen, da ihnen nicht gesagt wird, was sie für das Leben lernen
können. Es ist hochmütig, zwischen 10.000 und 20.000 Stunden des Lebens von jungen Menschen für einen Unterricht
mit der Behauptung in Anspruch zu nehmen, er bereite auf das Leben in Gesellschaft und Beruf vor, während er in
Wirklichkeit nur lehrt, den Anforderungen des Bildungswesens zu entsprechen.
Ingo Richter: »Die sieben Todsünden der Bildungspolitik«

Ich weiß, dass die Güte unserer Schulen oft bezweifelt wird. Ihr großartiges Prinzip wird nicht erkannt oder nicht
gewürdigt. Es besteht darin, den jungen Menschen sofort, im zartesten Alter in die Welt, wie sie ist, einzuführen. Er wird
ohne Umschweife und ohne dass ihm viel gesagt wird, in einen schmutzigen Tümpel geworfen: Schwimm oder schluck
Schlamm! Die Lehrer haben die entsagungsreiche Aufgabe, Grundtypen der Menschheit zu verkörpern, mit denen es
der junge Mensch später im Leben zu tun haben wird. Er bekommt Gelegenheit, vier bis sechs Stunden am Tag Roheit,
Bosheit und Ungerechtigkeit zu studieren. Für solch einen Unterricht wäre kein Schulgeld zu hoch, er wird aber sogar
unentgeltlich, auf Staatskosten geliefert.
Bertolt Brecht »Flüchtlingsgespräche«

Noch immer habe ich keine wissenschaftstheoretische Schrift über die Frage gefunden, ob und wie sich das Denken
dadurch verändert, dass die Menge der publizierten Gedanken exponentiell ansteigt, mit inzwischen schon rasender
Beschleunigung. Darüber scheinen sich die geisteswissenschaftlichen Denker und Schreiber keine (publizierten)
Gedanken zu machen. Sie schreiben weiter fröhlich vor sich hin. In der Festschrift für Peter Schneider habe ich
geschrieben, dass ich viel weniger Zeit dafür brauche, einen neuen, mir originell scheinenden Gedanken zu entwerfen,
als dafür, festzustellen, ob er wirklich neu ist. Keiner, der sich dieser zweiten Aufgabe annähme, käme noch zum Denken
und zum Schreiben.
Peter Noll »Diktate über Sterben und Tod«

Ergänzungsantrag zum Grundgesetz:
Artikel 18a:
- Die Sprache ist Gemeingut des Volkes.
- Wer sie dazu benutzt, mit hochtrabenden Phrasen andere Menschen
einzuschüchtern, darf öffentlich lächerlich gemacht werden
(Recht auf geistige Notwehr).
- Wer Schülern und Studierenden die Vorstellung vermittelt, dass klare Sätze
seicht und trübe tief seien, darf als sprachlicher Umweltverschmutzer
bezeichnet werden.
- Wissenschaftler, die mit unverständlichem Jargon den Eindruck bezwecken,
als sei das, was sie tun, eine Geheimlehre, zu der nur Eingeweihte Zugang haben,
sollen sich aus wettbewerbsrechtlichen Gründen durch die Berufsbezeichnung »Wissenschaftler« kenntlich machen.
Hans-Dieter Gelfert
Literaturtipps: